Dieter Axmann
Fachanwalt & Strafverteidiger
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Bei Angeklagten mit einem „Hang“ zum Alkohol- oder Drogenmissbrauch sieht das Strafgesetzbuch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vor. Diese Maßnahme gehört zu den Mitteln des Maßregelvollzugs. Ihre Verhängung ist selbst bei Schuldunfähigkeit möglich. Für die Anordnung einer solchen Therapiemaßnahme bei Straftätern verlangt das Strafgesetzbuch mehrere Voraussetzungen.
§ 64 Strafgesetzbuch gibt Richtern in einem Strafverfahren die Möglichkeit, eine Drogen- oder Alkoholtherapie für den Täter anzuordnen. Diese sogenannte Maßregel der „Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ ist nicht nur bei einem Schuldspruch möglich. Sie kann auch bei Schuldunfähigkeit sowie eingeschränkter Schuldfähigkeit erfolgen, etwa weil der Täter bei der Tat sehr betrunken war oder unter dem Einfluss einer durch Drogen induzierten Psychose stand.
Der Maßregelvollzug kann zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe bzw. einer Geldstrafe angeordnet werden. Das Urteil kann sich jedoch auch auf die Unterbringung zur Therapie beschränken, zum Beispiel im Fall von Schuldunfähigkeit. Ob die Regelungen des § 64 StGB in Betracht kommen, hängt sowohl von der Person des Straftäters wie von der Tat selbst ab. Die Beurteilung kann immer nur einzelfallbezogen erfolgen. Ferner stützen sich die Gerichte bei der Entscheidung regelmäßig auf Gutachten von Sachverständigen, z. B. Fachärzte für forensische Psychiatrie.
Die Dauer der Unterbringung zur Drogen- oder Alkoholtherapie ist grundsätzlich auf zwei Jahre begrenzt (§ 67d Abs. 1 StGB).
Wird die Unterbringung angeordnet und eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verhängt, gilt grundsätzlich die Reihenfolge: zuerst die Unterbringung, dann die Freiheitsstrafe 67 Abs. 1 StGB. Das Gericht kann davon abweichen, wenn dies dem Therapieziel dient – zum Beispiel, weil die Überstellung von der Therapieklinik in eine Haftanstalt die neu gewonnene Abstinenz bedroht.
Bei einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren wird dagegen ein Teil der Freiheitsstrafe als Vorwegvollzug abgeleistet. Erst dann beginnt die Alkohol- oder Drogentherapie. Im Fall eines Therapieerfolgs kann die Reststrafe anschließend bereits nach der Hälfte der Dauer zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 67 Abs. 5 StGB). Bei Freiheitsstrafen ohne Maßregelvollzug erfolgt die Aussetzung der Reststrafe dagegen in der Regel erst dann, wenn zwei Drittel der Dauer verbüßt sind (§ 57 StGB). Dies bedeutet bei „Langstrafen“, dass im Falle einer Unterbringung nach § 64 StGB eine schnellere Entlassung erreicht werden kann. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass dies kein zwingendes „Muss“ ist. Der Vollzug der Maßregel kann auch so lange fortgesetzt werden, bis die Strafe als vollstreckt gilt.
Die zentrale Voraussetzung zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist ein „Hang“ des Straftäters, Alkohol, Drogen oder psychotrope Medikamente „im Übermaß“ zu konsumieren. Hang ist nicht gleichzusetzen mit Drogen- oder Alkoholsucht. Ein körperlich oder psychisch abhängiger Angeklagter weist zwar grundsätzlich den erforderlichen Hang auf. Umgekehrt ist die Abhängigkeit aber keine notwendige Voraussetzung. Es genügt ein gewohnheitsmäßiger Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Für den Bundesgerichtshof ist „eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, ausreichend“.
Ein Angeklagter, der an die Wirkung von Alkohol nicht gewöhnt ist, sich deshalb nicht mehr steuern konnte und so ein Gewalt- oder Sexualdelikt begangen hat, wird kaum in einer Therapieeinrichtung untergebracht werden. Trinkt der Täter dagegen täglich einen halben Liter Wodka, muss die Unterbringung dagegen in Erwägung gezogen werden (BGH, 01.06.2021 – 6 StR 212/21).
Entscheidend ist nicht nur, dass ein Hang zu Drogen oder Alkohol vorliegt. Dieser Hang muss auch direkt und ursächlich mit der Tat zusammenhängen, um die es vor Gericht geht. Der BGH verlangt einen „symptomatischen Zusammenhang“. Dieser liegt beispielsweise vor, wenn ein Mann regelmäßig unter Alkoholeinfluss sexuelle Nötigungen begeht, in nüchternem Zustand jedoch nicht, weil er ohne die enthemmende Wirkung des Alkohols genügend Selbstkontrolle besitzt. Symptomwert hat die Tatbegehung auch bei Beschaffungskriminalität, etwa wenn ein Drogenabhängiger Raubüberfälle begeht oder Betäubungsmittel schmuggelt, um seine Sucht zu finanzieren.
Umgekehrt wird ein Straftäter selbst bei einem Hang zu Drogen oder Alkohol nicht im Maßregelvollzug zur Drogentherapie untergebracht, wenn seine Straftat nicht darauf zurückzuführen ist. Das zeigt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall eines Drogendealers. Dieser hatte einen anderen Dealer von zwei Mittätern entführen und gewaltsam bedrohen lassen, um auf diese Weise Geld einzutreiben. Der Bundesgerichtshof lehnte den symptomatischen Zusammenhang und damit die Unterbringung ab, obwohl der Angeklagte unbestritten polytoxikoman war. Für die Tat war jedoch nicht sein Drogenmissbrauch ursächlich, die Motivation bestand in der Schuldeneintreibung, d. h. im Erzielen von Gewinn (BGH, 01.06.2021 – 6 StR 113/21).
Eine weitere Voraussetzung, die § 64 StGB an die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt knüpft, ist eine negative Gefahrenprognose. Es muss die Gefahr bestehen, dass die angeklagte Person „infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird“. Solche Gefahrenprognosen sind Teil der Gutachten von Sachverständigen in Strafprozessen, in denen der Maßregelvollzug im Raum steht. Die Bewertung und Entscheidung bleibt Sache des Gerichts. Dieses hat nicht nur eine nachvollziehbare, sondern auch eine insgesamt einheitliche Bewertung des Angeklagten zu treffen.
Diese Einheitlichkeit vermisste der BGH beispielsweise im Fall einer seit Jahren heroinabhängigen Frau, die wegen Drogenhandel und -besitz vor Gericht stand. Das zuständige Landgericht hatte es abgelehnt, die Strafe für die BtMG-Delikte zur Bewährung auszusetzen. Von der Angeklagten seien weitere Drogenstraftaten zu erwarten. Die Unterbringung in einer Drogentherapie-Einrichtung lehnten die Richter ebenfalls ab. Das begründeten sie damit, dass aufgrund von Methadon-Substituierung und laufender Therapie kein Hang mehr vorliegen würde. Der Bundesgerichtshof verwies darauf, dass diese beiden Begründungen nicht zusammenpassten, und hob das Urteil auf (BGH, 27.04. 2021 - 2 StR 101/21).
Schließlich muss eine Therapie „hinreichend konkrete Aussicht“ auf Erfolg bieten, damit die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet werden kann. Auch in diesem Punkt stützen die Gerichte sich meist auf die Begutachtung durch Sachverständige, obwohl sie an deren Gutachten nicht gebunden sind. Das Gesetz definiert, worin der zu erwartende Erfolg besteht: Die Therapie soll den Täter von seinem Hang zu Drogen und/oder Alkohol heilen, zumindest aber dazu führen, dass er für eine erhebliche Zeit rückfallfrei bleibt und keine „erhebliche Taten“ mehr begeht, die mit Drogen oder Alkohol zusammenhängen. Außerdem muss diese positive Wirkung im Rahmen der angeordneten Unterbringung möglich sein, grundsätzlich also innerhalb einer maximal zweijährigen Therapie.
Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten dürfen es sich die Gerichte nicht zu einfach machen. Darauf weist der BGH immer wieder hin. Für die Prognose müssen Person, Biografie und Lebensumstände genau geprüft werden. Urteilsbegründungen, in denen eine Therapie als „von vornherein aussichtslos“ beurteilt wird, werden in der Revision immer wieder kassiert. Das Gleiche gilt, wenn die Erfolgsprognose aus zu allgemeinen Gründen negativ ausfällt, so z. B. wegen schlechter Deutschkenntnisse (BGH Beschluss vom 08.06. 2021 2 StR 91/21) oder deshalb, weil der Angeklagte sich der Begutachtung verweigert und nicht mit dem Sachverständigen kooperiert (BGH, Beschluss vom 01.06. 2021, 6 StR 212/21).
Dieter Axmann ist Strafverteidiger und Fachanwalt für Strafrecht aus Dortmund. Er hat schon Tausende von Mandanten in Strafverfahren aller Art vertreten und verfügt über große Erfahrung in der Strafverteidigung von allen Delikten, die unter Drogen- oder Alkoholeinfluss begangen werden.